Sonntag, 3. Dezember 2006

Reziprokes Lernen

Unter kooperativem Lernen verstehe ich, dass zwei oder mehr Personen mit dem Ziel zusammen arbeiten, ein Problem lösen oder eine Lernaufgabe erfüllen. Lehrpersonen versuchen dabei, inhaltliches und soziales Lernen wirksam zu verknüpfen.
Wie können Schüler behutsam an diese selbständige Arbeitsweise heran geführt werden? Ich habe mir dazu einige Gedanken gemacht. Vorerst aber eine Zusammenfassung einer Art des kooperativen Lernens.

Das Reziproke Lernen
Reziprokes Lernen ist eine Unterrichtsmethode zur Verbesserung des Textverstehens. Die Schülerinnen und Schüler übernehmen dabei abwechselnd die Lehrerrolle, um mit der Gruppe dialogartig vier Strategien des Textverstehens durchzuspielen:

1. Fragen zum gelesenen bzw. gehörten Textabschnitt stellen,
2. eine Zusammenfassung geben,
3. Unklarheiten klären,
4. Voraussagen zum kommenden Textabschnitt machen.

Gefördert wird bei dieser Methode das Lese- und Hörverständnis. Neben dem Wissenserwerb wird hierbei ein zusätzliches Lernziel verfolgt, nämlich eine verständnisorientierte Lesetechnik beherrschen zu können. Der Einsatzbereich liegt sowohl in den Naturwissenschaften beim Verarbeiten von Sachtexten als auch im Deutsch.
Zudem werden Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit, selbstständiges Lernen, Sozial- und Kommunikationskompetenz gefördert.

Überlegungen:
Kooperatives Lernen eignet sich nicht für jedes Lernziel oder für jede Aufgabe und ist auch nicht die allein Erfolg versprechende Unterrichtsform. Sollen z. B. die Schüler/innen etwas Schwieriges schnell verstehen, eignet sich ein klärender Lehrvortrag, der Komplexes vereinfacht, besser. Selbstständiges Denken kann auch mit entdeckendem Lernen gefördert werden.
Nicht jede Person profitiert im gleichen Masse von Gruppenarbeit. Der eigene Lerntyp, das Vorwissen, der familiäre Hintergrund oder die ethnische Zugehörigkeit spielen eine Rolle. Dabei kommt es wesentlich auf die Gruppenzusammensetzung an. Ob die Gruppe heterogen oder Schüler mit ähnlichem Lernstand zusammengesetzt werden soll, lässt sich lange darüber diskutieren. Ich bin der Meinung, dass Heterogene Gruppen gut zusammen arbeiten können, solange niemand zu kurz kommt.

Wie führe ich reziprokes Lernen ein?
Ich kann mir gut vorstellen, dass viele Schülerinnen überfordert sind, wenn Gruppenarbeit angesagt ist. Mit anderen Worten: Ihnen mangelt es häufig am erforderlichen Know-how.
Wenn die Gruppenarbeit zur Teamarbeit werden soll, dann müssen die Schüler/innen nachhaltig qualifiziert werden. Aspekte der Zusammenarbeit müssen Schritt für Schritt eingeübt werden.
Nötig dazu sind Regel, die die Teamarbeit ermöglichen:
1) Wir lesen still die Arbeitsaufträge.
2) Wir verteilen die Rollen und respektieren sie.
3) Wir planen unser Vorgehen.
4) Wir äussern erste - auch unfertige - Gedanken.
5) Wir beteiligen uns alle am Gespräch.
6) Wir hören zu und lassen jeden ausreden.
7) Wir gehen fair miteinander um.
8) Wir lachen niemanden aus.
9) Wir achten darauf, dass es nicht so laut wird.
10) Wir reden über Probleme.

Die Lehrperson kann die Methode direkt mit ein paar Schülern vorführen , um den Kindern zu zeigen, was mit reziprokem Lernen gemeint ist. Danach müssen die Gruppen gefunden werden. Zum Beispiel mit ziehen einer Spielkarten oder Einteilung nach Kleiderfarben, Anfangsbuchstaben, Geburtstagen...

Der Arbeitsauftrag
Soll eine Gruppenarbeit klappen, ist eine vollständige Gruppenanleitung wichtig.

Als erstes sollte das Lernziel transparent gemacht werden: Warum diese Methode?
Danach sollte die Aufgabe verständlich gestellt werden. Wenn nötig über verschiedene Medien mitteilen.
Ein weiterer Schritt ist, dass die Lehrperson ihre Erwartungen transparent macht. Worauf kommt es ihr an? Z. B. erste Ideen in Stichworten? Nur eine Lösung festhalten? Anschliessend wird die Arbeitsform bestimmt:
Gerade auf der Primarstufe ist es wichtig, dass wir klar vorgeben, was die Schüler tun müssen: „Ihr arbeitet in Vierergruppen, ihr habt dieses Material, ihr habt diesen Raum zur Verfügung etc“. Wichtig ist, dass genügend Zeit gegeben wird. Wie lange dauert die Gruppenarbeit?
Danach sind Fragen zu klären, wie:
Wie genau? Wie viel? Wie exakt? Wie sollen die Ergebnisse präsentiert werden? Was wird beurteilt? Was müssen die Schüler/innen können, wissen, begründen?
Über Möglichkeiten für die Ergebnissicherung und die Präsentation der Ergebnisse muss vorgängig nachgedacht werden. Einige Beispiele dazu: Lerntagebuch; Zettelprotokoll; Plakat, Wandzeitung; Schriftlicher Gruppenbericht; Arbeitsblatt, Testfragen für die anderen
Gruppen ausarbeiten; Bild gestalten; Collage; Film, Video, Hörspiel;Test, Prüfung; Bericht; Ausstellung, Galerie; Pantomime; Diskussion im Plenum; Streitgespräch; Aquarium; Rollenspiel.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass…
… die Lehrperson, die kooperatives Lernen ermöglichen will, wagen muss, ihre Schüler/innen ein Stück weit allein zu lassen. Damit der Arbeitsprozess geregelt abläuft sollte die Lehrperson den Prozess im Blick haben, zuhören, abwarten, beobachten und den Lernenden Zeit lassen. Sie soll sich selbst auch zurückhalten können, wenn die Schüler in ihren Gruppen arbeiten. die Schüler sollten auch Gelegenheit haben, die kooperative Arbeitsweise zu reflektieren, indem sie überprüfen, was sie dabei gelernt haben und wie die Zusammenarbeit funktioniert hat. Die Lehrperson soll auch beraten und den Schülern Hilfen zur Selbsthilfe geben und Mut machen. Damit die Vorbildfunktion des Lehrers berücksichtigt wird, soll sie die Arbeitsformen vorleben und zuletzt Arbeitsergebnisse sammeln und strukturieren und eine Diskussion mit der ganzen Klasse bewerkstelligen.
Bei dem Ganzen soll nicht vergessen werden, dass der Lernprozess so wichtig ist wie die Lernergebnisse, und dass den Kindern einfach genügend Zeit zur Angewöhnung und Durchführung der kooperativen Arbeitsmethoden gegeben werden muss.
Lehrerinnen und Lehrer haben während des Frontalunterrichts kaum Ruhe und Gelegenheit, ihre Schülerinnen und Schüler differenziert zu beobachten. Im Gruppenunterricht dagegen kann eine Lehrperson beobachten, wie die Schüler/innen miteinander und mit der Aufgabenstellung umgehen. Es ist eine Gelegenheit, das Verhalten der Lernenden zu erfassen und auch zu dokumentieren. Die Beobachtungsgrundlagen können auch Basis für ein Klassengespräch sein oder liefern einen Hintergrund für einen Bericht über Arbeits- und Lernverhalten.

… auch Schülerinnen und Schüler beim kooperativen Lernen ein neues Rollenverständnis entwickeln müssen. Es wird einiges von ihnen verlangt: selbstständig denken, fühlen, handeln, ich mit Mitschüler/innen verständigen, Selbstkritik üben, Arbeitsschritte planen, Arbeitsergebnisse sichern, dokumentieren oder protokollieren.

1 Kommentar:

Corinne Bischofberger hat gesagt…

Du hast sehr ausführlich, klar und gut strukturiert das Reziproke Lernen erläutert. Deine Haltung gegenüber dieser Lernform und die vielen Vorteile kommen ebenfalls gut zur Geltung.
Ich selber habe das Reziproke Lernen noch nie mit Schülern angewendet, finde es jedoch ein sehr guter und nachhaltiger Arbeitsvorgang. Nun nach dem Lesen deines Berichtes bin ich gerade super motiviert das Reziproke Lernen in meinem nächsten Praktikum anzuwenden.